Auf den ersten Blick wirkt die Idee so einfach wie überzeugend: Ein universelles, komprimiertes RAW-Format -das alle Kamerahersteller nutzen können- soll in Zukunft dafür sorgen, dass der Import und die Verarbeitung in Schnittprogrammen, Compositing-Systemen und Grading-Suiten genau so einfach wird wie H.264 oder ProRes.
Neuer Anlauf für RAW-Standard?
Die Idee ist allerdings keineswegs neu. Bereits Cineform RAW und Adobes Cinema DNG (CDNG) sind vor Jahren mit dem Anspruch angetreten einen systemübergreifenden RAW-Standard für Videografie zu schaffen. Doch Adobe ließ den selbst geschaffenen Standard schnell wieder fallen und hat bis heute keine überzeugende CDNG-Integration in Premiere oder After Effects zu bieten. Cineform fand dagegen keinen relevanten Kamerahersteller, der das universelle CineformRAW-Format nutzen wollte. Nicht einmal GoPro (Inhaber von Cineform) integrierte das Format in eigenen Kameras. Dabei war Cineform RAW sogar mit seiner bewährten Wavelet Technologie dem anerkannt guten REDCODE RAW sehr ähnlich.
Blackmagic nahm sich mit den eigenen Kameras dem offenen CNDG Standard an und erweiterte ihn um einige Kompressions-Optionen. Gerade die "visual lossless" Modi mit 3:1 und 4:1 Kompression sorgen für einen guten Kompromiss zwischen RAW-Datenrate und nahezu kompromissloser RAW-Qualität. So kann man hiermit bei 4K-Formaten Datenraten um die 100 MB/s erreichen. Was sich auf sehr ähnlichem Niveau bewegt wie Apples neues ProRes RAW.
Doch hier hört die Vergleichbarkeit der beiden Formate schon nahezu auf. Denn CDNG ist offen lizenzierbar, ProRes scheint hingegen recht "verschlossen". CDNG sind Einzelbild-Sequenzen in Ordnern inkl. WAV-Dateien und Metadaten. Bei ProRES RAW werden alle anfallenden Daten in einem einzigen File verpackt. Beide Methoden haben dabei entsprechende Vor- und Nachteile.
Breite Unterstützung?
Doch wichtiger als die Frage, ob man nun lieber Ordner oder Clips verschiebt ist die grundsätzliche Frage der Unterstützung, und hier wird es nun spannend. Denn aktuell lässt sich ProRes RAW nur auf dem Mac mit Apples eigenen Applikationen importieren und bearbeiten. Dabei stehen unter FinalCut Pro X nicht einmal alle Optionen offen, die für viele Anwender bei RAW Bearbeitung besonders wichtig sind. Noch(?) sind die möglichen Eingriffe in das Debayering unter Final Cut Pro X noch bei weitem nicht so ausgefallen wie beim Import von REDCODE oder ARRI RAW. Doch genau diese Optionen der nachträglichen "Entwicklung der Sensordaten" lassen viele Anwender bewusst zu RAW greifen. Und meistens deswegen auch andere Programme als Final Cut Pro X nutzen.
Da es keinerlei offizielle Aussage dazu gibt, unter welchen Bedingungen Apple ProRes an andere Hersteller lizenziert, lässt sich momentan überhaupt nicht abschätzen, wer in naher Zukunft überhaupt ProRes RAW unterstützen wird. Es ist naheliegend, dass Apple das neue Format eher freizügig an Kamera-Hersteller lizenzieren wird. Es ist auch anzunehmen, dass Atomos als Co-Entwickler zumindestens eine längere Sperrfrist für externe Recorder vereinbart hat, bevor andere Recoder-Hersteller das neue Format nutzen dürfen.
Bei den Video Applikationen fällt eine Einschätzung besonders schwer. Denn einerseits war Apple in der Vergangenheit eher darauf bedacht, die ProRes Unterstützung unter Windows klein zu halten. Damit sollte (und konnte auch eine Weile) ProRes seinen wahren Performance-Glanz nur unter macOS ausspielen.
Auf der anderen Seite ist es fast nicht vorstellbar, wie sich ein neues RAW-Format durchsetzen soll, das unter Windows und Linux nur halbgar bis gar nicht unterstützt wird.
ProRes RAW und DaVinci Resolve
Das führt uns noch einmal zu Blackmagic. Denn in den letzten Jahren hat es dieser Hersteller wie kein zweiter geschafft, RAW-Bearbeitung nicht nur für Hollywood sondern auch für Massen von semiprofessionellen Filmern zugänglich zu machen. Wer heute RAW-Bewegtbild Bearbeitung betreibt, nutzt in 9 von 10 Fällen DaVinci Resolve. Doch Resolve ist nicht nur DIE angesagteste RAW-Applikation für Bewegtbilder, sondern gleichzeitig auch immer mehr ein direkter Konkurrent zu Apples Final Cut Pro X.
In unseren Augen hängt der Erfolg von ProRes RAW daher sehr stark davon ab, ob DaVInci Resolve dieses Format unterstützen wird. Und dagegen spricht mindestens eben soviel wie dafür.
Die Gründe dagegen...
Blackmagic würde mit der Unterstützung von ProRes RAW seinen eigenen Standard im Markt deutlich schwächen. Denn sollte sich Pro Res RAW durchsetzen, dürfte CDNG mittelfristig wohl in der Versenkung verschwinden.
Blackmagic selber müsste das geschlossene Format zu Konditionen von Apple lizensieren, die für außenstehnde aktuell nicht einsehbar sind. Es ist aber stark zu vermuten, dass Apple tendenziell eher eine protektionistische Agenda für seine eigenen Produkte im Auge haben dürfte.
Gleichzeitig würde Blackmagic mit einer Resolve-Unterstützung auch dem direkten Konkurrenten Atomos in Hände spielen, weil erst durch die Unterstützung von Resolve das neue Format für viele RAW-Anwender direkt nutzbar werden würde. Und in dieser Situation könnte Atomos bereits ProRes RAW Recorder verkaufen, die Blackmagic selber (noch?) nicht anbieten kann.
Blackmagic dürfte es daher nicht unrecht sein, wenn sich ProRes RAW erst gar nicht durchsetzt. Denn die damit verbundenen Folgerscheinungen liegen wenig im eigenen Firmeninteresse.
Die Gründe dafür...
Blackmagic ist ein großer Apple-Supporter. Obwohl Apple schon seit einiger Zeit keine Hochleistungs-GPU-Workstations mehr anbietet (die Resolve besonders gut auslasten kann) hält Blackmagic die Flagge für professionelles Editing und Color Grading auf dem Mac hoch. Neue Apple Funktionen (man denke z.B. an die Touchleiste in den Macbook Pros) werden meistens schnell und liebevoll unterstützt. Daher spricht es schon Bände, dass Blackmagic aktuell noch nicht den neuen Apple RAW Standard integriert hat. Noch nicht einmal für eine Ankündigung hat es bislang gereicht.
Allerdings haben Apple und Atomos nun viele Kamerahersteller in die Position gebracht, dass ihre Kameras nur mit ProRES RAW die eigene RAW-Ausgabe optimal nutzen können. So werden viele Käufer der EVA1, der C300II oder der FS5/7 jetzt auf Blackmagic Druck aufbauen, dass Resolve ProRes RAW unterstützen sollte. Und unzufriedene Kunden könnten hier zum Problem werden, zumal sich Resolve in der Vergangenheit dadurch hervorgetan hat, fremde RAW Formate (z.B. Canon RAW Light) sehr früh zu unterstützen. Und eine große Erwartung mancher EVA1 Käufer war sicherlich, schon bald unter Resolve mit 5,7K RAW arbeiten zu können.
Was wird passieren?
Wir glauben nicht, dass Blackmagic schnell eine ProRes RAW Unterstützung für Resolve ankündigen wird. Wahrscheinlich wird man hinter den Kulissen schon mit der Implementation beginnen, jedoch wird sich Blackmagic in nächster Zeit zu keinem offiziellen Commitment hinreißen lassen.
Käufer von Kameras wie der EVA1 werden laut bemängeln, dass sie die EVA1 nur wegen der versprochenen 5,7K RAW Unterstützung gekauft haben und nun RAW am PC gar nicht und am Mac nur unter Final Cut bearbeiten können. Aber diese Käufer wird Blackmagic auf Atomos verweisen, die ja schließlich auch das offene CDNG inkl. Kompression unterstützen dürften. Was Atomos natürlich könnte. Doch Atomos will natürlich gerade ProRes RAW gegenüber CDNG als eigenen Unique Selling Point stärken.
Atomos wird daher versuchen noch viel mehr Kamerahersteller dazu zu bewegen, das RAW-Signal für ihre Recorder auszugeben. Dann dürfte der Druck auf Blackmagic mit der Masse der verfügbaren Kamera Optionen zunehmen. Sollte plötzlich Sonys A7SIII oder Panasonics GH5 mit dem Atomos Ninja V auch ProRes RAW beherrschen, dürfte die Zahl der potentiellen Resolve Anwender auch für Blackmagic relevant werden. Blackmagic steht dazu mit den eigenen Kameras in einem direkten Konkurrenzverhältnis zu den Kamera-Herstellern, was diese strategische Entscheidung noch komplexer macht.
Umgekehrt ist es jedoch schwer vorstellbar, dass ein zufriedener Resolve-Grader wegen ProRes RAW auf Final Cut Pro X umschwenken würde. Und auch wenn Adobe ProRes RAW-Support für Premiere ankündigen sollte, dürfte dies nur wenige Resolve Nutzer zum Umstieg bewegen. Einfach weil das RAW Grading in Resolve nach wie vor deutlich ausgereifter ist.
Fazit
Wir gehen schwer davon aus, dass es von Blackmagic erst einmal keine ProRes RAW Unterstützung geben wird. Sollten in naher Zukunft viel mehr Kameras ihr RAW Signal über SDI/HDMI freigeben und dazu andere relevante Schnitt-Applikationen auf den ProRes RAW Zug aufspringen, wird Blackmagic ebenfalls zeitnah eine Lösung anbieten.
Doch ob sich diese dann wirklich in einer ProRes RAW Unterstützung manifestiert? Blackmagic könnte auch mit eigenen CNDG RAW-Recordern auf den Markt kommen. Dies dürfte nicht zuletzt von den Konditionen der ProRes RAW Lizenzierung abhängen, die für außenstehende schwer einschätzbar sind.