Wer im Consumersegment um die 1000 Euro HDV die Treue halten will, hat eigentlich kaum Auswahl. Sony bietet in dieser Klasse nur die HC7/9 und Canon bisher die HV20, die nun von der HV30 abgelöst wird. Die technisch fast identische HV20 konnte ja bereits mit extrem guten Messwerten glänzen, zeigte jedoch Schwächen bei der Bedienung, Weitwinkel und im Audiobereich.

Nach dem Auspacken gibt es erst einmal versöhnliches zu berichten. Die Anmutung und Haptik der Kamera wurden durch etwas raueren, schwarzen Kunststoff gegenüber der HV20 spürbar verbessert. Dadurch wirkt und fühlt sich die Kamera jetzt etwas hochwertiger an und vermittelt nicht mehr den spröden Charme eines Plastikspielzeugs. An die Verarbeitungsqualität der Sony HC7/9 kommt die Kamera dabei zwar noch nicht ganz heran, aber immerhin stellt diese kleine Verbesserung einen großen Schritt nach vorne dar.
Ansonsten bleibt eigentlich alles beim alten. Wer die HV20 schon kennt, kann schon hier praktisch aufhören zu lesen. Nach dem Einschalten liegt die Kamera gut in der (kleinen) Hand. Mit dem Daumen drückt man wahlweise die Menütaste oder navigiert mit dem darüber liegenden Joystick durch die Einstellungen. Wichtige Parameter wie Belichtungszeit oder Blende liegen dabei in der Hierarchie relativ weit oben und sind nach etwas Übung schnell justiert. Allerdings passiert es immer wieder, dass man bei einer Seitwärtsbewegung auch versehentlich den Joystick klickt, wodurch man leicht nicht beabsichtigte Parameter verändert.

Bedienung
Auch die übrige Bedienung während des Filmens will uns nach wie vor nicht vollends überzeugen: Neben der mickrigen Zoowippe bemängeln wir definitiv das Fehlen einer adequaten Fokussiermöglichkeit. Das Fokus-Rad neben dem Objektiv ist viel zu leichtgängig, hat keinerlei fühlbares Raster und bietet daher nur schwachen Ersatz für einen echten Ring. Grundsätzlich gut gefällt uns die direkte Umschaltung von Auto- und manuellem Fokus direkt neben dem Rad. Leider lässt sich dieser Button nicht wie z.b. bei Sony mit anderen Funktionen wie Blende oder Verschlusszeit belegen.
Völlig deplatziert wirkt auch die Fokus Assist-Taste. Sie liegt weit ab vom Schuss am Display-Rand. So muss die Hand zum ein- und ausschalten immer vom Fokus-Rad genommen werden, wo sie beim Scharfstellen jedoch logischerweise gebraucht wird. Doch damit nicht genug: Um auf dem ansonsten ziemlich guten Display die Schärfe auch nur einigermaßen beurteilen zu können, ist die Peaking-Funktion unabdingbar. Allerdings ist diese ohne Focus Assist nur alternativ zur Zebra-Funktion einzusetzen. Beides gleichzeitig geht leider nicht, obwohl man in der Regel beide Funktionen parallel benötigt. Und zum Umschalten muss man tief ins Menü. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Peaking-Funktion sowieso schlechter wirkt als bei der Konkurrenz. Echte Kontrolle für das letzte Quäntchen manuelle Schärfe bekommt man bei der HV30 daher nur mit einem externen Monitor. Und wer hauptsächlich mit dem Sucher filmt, kann den Fokus Assist-Button gar nicht drücken, weil er ja am inneren Display-Rand sitzt.

Einstellungssache
Die Justagemöglichkeiten der Kamera sind dafür für diese Preisklasse ziemlich gut. Es gibt sogar Parameter für Farbe und Schärfe, die sich noch dazu in einem Preset speichern lassen. Allerdings enthält Canon hier dem Anwender sinnvolle Zahlenwerte vor. Schade, wenn man bedenkt, dass hier eigentlich die gleiche Signalelektronik (DIGIC DV II) werkelt, die auch für die Verarbeitung und Menüs in der XH-Serie zuständig ist. Aber irgendwo muss man scheinbar die Amateure von den Profis trennen. Zu viele Einstellmöglichkeiten geziemen sich scheinbar bei einem 1000 Euro-Modell nicht, und die Konkurrenz öffnet sich ja bekanntermaßen hier noch weitaus weniger.
Dennoch sollte eine Anfänger-Kamera alte Hasen wie uns nicht vor zu viele logische Bedienfragen stellen: Und die gibt es hier und da: So ist uns nicht klar, was eigentlich der Unterschied zwischen dem Belichtungsregler und der Blende ist. Wenn man die Zeitautomatik wählt, lässt sich die Blende frei bestimmen und und parallel dazu die Belichtung. Letzteres ist offensichtlich ein Universal-Parameter, der sowohl Blende als auch Gain (und manchmal sogar den Shutter) im Team regelt. Allerdings ändert dieser Parameter seinen möglichen Wertebereich je nach Motiv. So ist bei dunklen Motiven nur ein Wertebereich von ca. -11 bis 0 vorhanden. Bei zugeschalteter Videoleuchte erweitert sich dieser Wertebereich dann wie von Geisterhand auf bis zu +11 positive „Einheiten“. Nach dem Ausschalten der Videoleuchte kann man im positiven Parameterbereich verweilen, den man vorher gar nicht einstellen konnte. Sehr komisch, zumal die Anleitung zu diesem Thema auch kein Licht in die Sache bringen will.
Wir fragen uns, warum man nicht einfach drei Parameter anbietet: Belichtungszeit, Blende und Gain, und diese dann mit den echten Werten regelbar macht. Am besten schaltbar an einem kleinen Button neben dem Objektiv. Übrigens gibt es einen Trick, um die Parameter der Kamera wenigstens teilweise in den Griff zu bekommen.
Innovativ - Progressiv
Der 25P-Modus ist auf den ersten Blick in diese Preisklasse ein echtes Kaufargument für szenische Filmer. Kombiniert man diesen jedoch mit dem speziellen Kinomodus (der eine Art Cinegamma plus Weichzeichner darstellt) so lässt sich die Verschlusszeit nicht mehr feststellen. Wer hier über die Blende ein dunkles Motiv ausreizen will, kann leicht von der (dann nicht deaktivierbaren) Automatik auf 1/12s oder einen noch geringeren Slow-Shutter gesetzt werden. Das ist natürlich unschön, weil nicht kontrollierbar und dies macht die zusätzliche Kino-Modus-Funktion letztendlich für viele Filmer natürlich nur noch halb so interessant.
Alternativ kann man natürlich eine Gammakorrektur in der Postproduktion draufrechnen und dafür Belichtungszeit und (!!) Blende weiterhin manuell im 25P-Modus kontrollieren. Nur eben ohne Cinegamma-Modus, nur 25 FpS. So hat man allerdings bei der Bildqualität auch kaum noch einen Vorteil gegenüber der HV10, die ja ebenfalls bei 1/25Sekunde Videos als Frames und nicht als Fields aufzeichnet. Bei dieser Vorgehensweise kann man dann auch die Bildschärfe erhalten. Denn der Movie-Modus bügelt unter anderem viele Details glatt.
Audio
Im Audiobereich wurden die früher deutlich wahrnehmbaren Laufwerksgeräusche etwas gedämpft, wodurch das Mikrofon aber auch etwas dumpfer klingt. Nach wie vor besitzt die Kamera zwei Features, die sie für Semi-Profis zur ersten Wahl in dieser Preisklasse machen dürfte. Nicht nur, dass überhaupt ein Mikrofon- und Kopfhöreranschluss vorhanden sind, das externe Mikrofon ist ergonomisch gut über den Joystick zu pegeln. Und tief im Menü findet sich zusätzlich eine Dämpfungs-Option des Mikrofon-Eingangs (ca. -20dB). Hiermit lassen sich auch Line-Quellen direkt zur Aufnahme an den Camcorder anschließen, ohne dass man ein externes Dämpfungsglied bemühen muss. Da ist es zu verzeihen, dass die Kopfhörer-Buchse mit der AV-Buchse doppelt belegt ist. Wer also einen FBAS-Monitor beim Dreh anschließen will, kann nicht mehr über Kopfhörer mithören. Eigentlich überhaupt kein Problem, denn man holt den Ton dann vom Monitor oder man schließt einen HD-Bildschirm sinnvollerweise über den Komponenten-Ausgang an.
Bildqualität
Kommen wir nun zur typischen Paradedisziplin der HV30, die Bildqualität. Hier lösen die Messwerte ein weiteres mal großes Staunen aus.


Erstklassige Schärfe gepaart mit einer sehr guten Farbauflösung zeigen bei Tageslicht der Konkurrenz den Stand der Technik.


Im Lowlight-Bereich ist die Kamera bei 50i weiterhin nur befriedigend...

...wobei man mit 1/25s Belichtungszeit das Low-Light Verhalten noch etwas tunen kann. Die Optik verzeichnet recht wenig, bietet aber auch nur mangelhaften Weitwinkel:

Szenische Filmer werden daher auf jeden Fall einen Weitwinkel-Adapter einplanen müssen, der allerdings oft den IR-Autofokus-Sensor neben dem Objektiv versperrt.
Fazit
Schade, dass Canon die Zeit nicht genutzt hat, die HV20 noch einmal deutlich weiterzuentwickeln. Wie schon bei der Sony HC9 sind die Änderungen gegenüber dem HDV-Vorgänger-Modell praktisch nur kosmetischer Natur. Immerhin kommt die HV30 dadurch nun zu einer etwas wertigeren Hülle, die ihr gut steht. Und da Sony mit der HC9 das Niveau nicht angehoben hat, wird die HV30 wohl bis auf weiteres unser Liebling in der Preisklasse unter 1.000 Euro werden. Allerdings erst, wenn sich der Ladenpreis auf HV20-Niveau eingependelt hat. Denn bis dahin bietet die HV20 einfach das bessere Preis/Leistungs-Verhältnis bei praktisch selber Ausstattung. Das man bei diesem Preis dennoch mit unnötigen Kompromissen wie kriminell kleiner Weitwinkel und einer unzeitgemäßen Bedienung beim Fokussieren und Blendenfixieren leben muss, ist traurig. Vor allem, weil es für Canon sicherlich eine Kleinigkeit gewesen wäre, auf diese Details zu achten. Nachdem man das HDV-Lager ja praktisch für tot erklärt, hätte Canon hier doch noch einmal ein paar Schalter dauflegen können, um der Consumer-HDV-Serie einen spitzenmäßigen Abschied zu verpassen. So bleibt nur der Trost, das man bei der Konkurrenz für das selbe Geld bei den manuellen Funktionen eher noch schlechter bedient wird.